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Da is das Ding! - Ein WM-Rückblick von Wohlnixx Teil V


Da is das Ding! - Ein WM-Rückblick von Wohlnixx Teil V

 

Ein persönlicher Kommentar von wohlnixx zur Fußball-WM 2014 in Brasilien.

 

Das Halbfinale

 

Es ist Dienstag. Das erste Halbfinale steht an. Und Deutschland ist dabei. Wie bei den letzten drei Weltmeisterschaften übrigens auch, liebe Dauernörgler! Anstoß ist um 22 Uhr. Das Warten kostet Nerven. Bier steht kalt. Ich plane, alkoholfrei und normal von derselben Marke im Wechsel zu trinken. Schließlich muss ich am Mittwoch arbeiten. Die Vorberichte beginnen nach den Rosenheim-Cops. Von denen kenne ich nur die Vorschau, und da verstehe ich schon kein Wort. Keine Ahnung, wie man sich sowas angucken kann, wenn man nicht gerade in Rosenheim geboren ist. Solche Sendungen gehören untertitelt. Oder abgesetzt.

Selbstverständlich nervt Olli Welke den Torwarttitan mit dem Finale von 2002. Jaaa, Olli, is ja guuut, wir wissen es jetzt! Der Kahn hat den Ball nach vorn prallen lassen und Ronaldo macht das 1:0. Ja, war doof, wird aber auch nicht besser, wenn man’s zum 37. mal sieht. Vielleicht könnte mal ein Blitz auf dieser Penthouseterrasse einschlagen und Olli Welke wegputzen!? Der Titan ist bestimmt froh, wenn die WM vorbei ist und er das blöde Grinsen von dem Depp nicht mehr ertragen muss. Und dann hat es das ZDF auch noch irgendwie geschafft, den ehemaligen Weltfußballer Rivaldo auf die Terrasse zu schleifen! Wie haben die das gemacht? Sitzt da irgendwo Boris Büchler mit ‘ner Knarre und bedroht Frau Rivaldo und die Kinder? Warum tut sich der Weltmeister von 2002 denn so was an? Wenigstens erhält er als Belohnung ein Autogramm von Olli Kahn auf das Torwarttrikot aus dem Finale von 2002. Das muss dem Rivaldo einiges Wert gewesen sein, wenn er sich dafür neben Olli Welke stellt und auf die öden Standardfragen öde Standardantworten gibt. Laaangweeeiiilig! Schiri, pfeif die verf***te Sch****e endlich an!

Und dann hat das Warten endlich ein Ende. Die Hymnen werden gespielt. Und gesungen. Und gebrüllt. Die Brasilianer geben beim Singen alles und verpulvern jetzt schon wertvolle Kraft. Für Neymar spielt Bernard. Wer ist das? Biancas Kollege von der Mäusepolizei? Von der Größe her würde es passen.

Deutschland genau wie gegen Frankreich. Lahm hinten rechts, Schweini und Khedira im defensiven Mittelfeld, Klose vorne drin. Klingt alles gut. Brasilien gibt Gas, will es wissen, spielt mit Tempo nach vorn. Alle für Neymar! Die heimischen Fans konnten sich im Vorfeld des Spiels ein Bild ihres verletzten Helden runterladen, ausdrucken und als Maske tragen. Unzählige haben das gemacht. Das Stadion ist voll von Neymar-Gesichtern aus Papier. Und sie alle hoffen, dass der Ausfall des Stars die anderen Spieler sogar noch beflügelt, ungeahnte Kräfte mobilisiert und wie ein 12. oder sogar 13.Mann wirkt. Doch die Deutschen lassen sich davon gar nicht beeindrucken und bleiben cool wie die inzwischen sprichwörtliche Eistonne. In Minute 11 gibt es die erste Ecke für den DFB. Noch bei der EM 2012 hat niemand einen Cent auf deutsche Standards gesetzt. Doch dieses Mal ist das anders. Wenn sich eine Hintermannschaft bei einer Ecke aber auch so verhält, wie es die brasilianische tut, dann wird es geradezu lächerlich einfach. Der Ball segelt durch den Strafraum, vorbei an Freund und Feind, und fällt Müller am Fünfmeter-Raum vor die Füße. Volley mit der Innenseite – 1:0! Ein Auftakt nach Maß. So muss das laufen, das spielt einer defensiv stabilen Mannschaft mehr als nur in die Karten, vor allem dann, wenn sie schnell umschalten und kontern kann. Im Stadion werden die Neymar-Papier-Gesichter mit einem Schlag ziemlich lang. Die sexy chicas auf den Tribünen stellen das Tanzen ein, der erste Schock lässt die Sambatrommeln verstummen. Doch die Selecao steckt nicht auf. Das wäre auch ein wenig zu früh. Aber vorne fehlt der letzte, entscheidende Pass, das Durchschlagvermögen. Sturmspitze Fred ist blasser denn je, bekommt keinen Stich gegen die deutschen Innenverteidiger, die bombensicher stehen. Hulk, Bernard, Oscar – egal, wie sie heißen, ihnen gelingt es einfach nicht, den Gegner unter Druck zu setzen und zu Fehlern zu verleiten. In die andere Richtung gelingt das bestens. Die Offensivabteilung in Schwarz-Rot kann selbst im Strafraum schalten und walten, wie sie will. Müller bedient Klose auf engstem Raum, der scheitert zunächst an Júlio César, doch im Nachschuss trifft er – 2:0. 23 Minuten gespielt, und Klose lässt mit seinem 16.WM-Treffer Ronaldo in der ewigen Torschützenliste hinter sich! In Brasilien gegen Brasilien den Rekord eines Brasilianers geknackt – besser geht es nicht! Und wieder muss man festhalten, dass eine umstrittene Entscheidung Löws – nämlich Klose überhaupt mit zur WM zu nehmen – absolut richtig war. Falls es irgendwo da draußen noch Jogi-Kritiker gibt, haben die sich inzwischen vor Scham eingenässt und in ihren alten Kinderzimmern bei Mutti in Fötusstellung im Bettchen vergraben. Nörgler, Pessimisten und Besserwisser deutscher Länder vereinigt euch – und haltet die Klappe!

Weiter geht es eine Minute nach dem 2:0. In Minute 24 bringt Lahm einen Ball von der Außenlinie in den Strafraum, den Müller verpasst, der jedoch Kroos vor den linken Fuß rollt. Der zieht ab, der Keeper ist noch dran, aber halten kann er den Ball nicht. 3:0. Bela Rethy fragt, was denn hier los sei? Ich könnt’s ihm sagen, bin aber völlig geflasht von dieser Darbietung. Aber es macht sich vor allem Entspannung breit. Meiner Gattin geht es da genauso. Sie ist inzwischen so relaxed, dass sie sich einen Gang zur Toilette gönnt. Als sie zurückkommt, fragt sie (O-Ton): „Warum zeigen die denn das Tor vom Kroos jetzt nochmal in der Zeitlupe?“

Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd auf Gras und antworte: „Das ist nicht das 3:0, mein Hase, das ist das 4:0.“

Sie schaut mich ungläubig an, das Wort „verarschen“ fällt, doch ich bleibe im gechillten Marihuana-Modus und zeige auf die linke obere Ecke des Fernsehers. Da steht BRA 0 und GER 4. GER sind wir. Gespielt sind knapp 27 Minuten. Im Halbfinale der WM 2014. „Glauben sie es, sie träumen nicht“, erklärt Bela Rethy. Ich glaube es, träume allerdings von einem besseren Kommentator. Selbst Chewbacca würde mit seinem Gegrunze mehr Emotionen transportieren! Während ich noch darüber nachdenke, so lange meine Rundfunkgebühren um zehn Euro zu kürzen, bis Kapitän Rethy das Kommando über das Mikro entzogen wird, fällt bereits der nächste Treffer. 5:0. Khedira, aufgelegt von Özil nach einem Spaziergang durch den Strafraum der Brasilianer, die längst zu Statisten degradiert sind und denen ich bereits in der 29.Minute den Abpfiff wünsche. Meine Frau guckt mich mit großen  Augen an, und mir bleibt nichts weiter übrig, als ebenso erstaunt zurückzugucken. Sagen können wir nichts mehr. Fast hat man das Gefühl, es müsste einem als Deutschem peinlich sein, dass man die Brasilianer bei der Heim-WM so auseinander nimmt. Auf den Rängen wird geweint. Und geschluchzt. Die brasilianischen Flaggen, die sich die hübschen Mädels vom Zuckerhut auf die nußbraunen Wangen gemalt haben, werden vom salzigen Strom ihrer Tränen verwischt und davongespült. Genau wie ihre Mannschaft von der Deutschen Elf.

Ich schreibe meinem Vater eine Kurznachricht. Frage: „Lieber Vater, hast du so etwas schon mal erlebt?“ Antwort: „Ja. 1954.“ Er meint nicht etwa das Halbfinale von ‘54, das Deutschland damals 6:1 gegen eine Nation gewann, die im Süden an die unsere grenzt, deren Namen ich aber hier jetzt nicht mehr nennen möchte, die aber – kleiner Tipp – nicht die Schweizer Garde des Papstes stellt. Nein, mein alter Herr meint das Finale von 1954. Das Wunder von Bern. Die BRD schlägt Ungarn, was zum damaligen Zeitpunkt praktisch nicht möglich war. Ungarn war eine Übermannschaft. Vielleicht die erste Goldene Generation der Fußballgeschichte überhaupt. Die sind nach Bern gekommen und waren tausend Prozent sicher, dass sie dieses Spiel gewinnen. Alles andere war undenkbar. Genau wie das hier. 5:0 für Deutschland gegen Brasilien im Halbfinale der WM. Das ist vielleicht kein Wunder, aber es ist nah dran.

Die Halbzeitpause nutzt Löw zum Wechseln. Mertesacker für Hummels. Kräfte schonen fürs Finale. Ich wechsle auch. Von alkoholfrei zu normal. Dieses historische Sportereignis muss gebührend gefeiert werden. So etwas werde ich wohl in meinem Leben nie wieder sehen. Keiner von uns. Ich klopfe mir heftigst auf die Schulter, dass ich beim Anpfiff so geistesgegenwärtig war und das rote Knöpfchen auf der Fernbedienung des Festplattenreceivers gedrückt habe. Aufnahme. Ich habe dieses geile Spiel auf der Festplatte! Ich kann’s mir immer wieder angucken. Immer wieder! Tags darauf wird mir mein Kumpel raten, die Festplatte auszubauen, luftdicht zu verpacken und sicher einzulagern, weil sie mit Geld nicht mehr zu bezahlen sei. Nein, noch nicht. Das Finale muss da auch noch drauf!

Selbst die größten Zweifler dürfen sich den zweiten Durchgang jetzt entspannt anschauen. Da brennt nichts mehr an. Was die Brasilianer dazu bringt, überhaupt auf den Platz zurückzukehren, ist mir ein Rätsel. Wie war es wohl in der Pause bei denen in der Kabine? Hat da jemand auch nur ein Wort gesagt? Ich meine, mal ehrlich, da braucht sich doch auch kein Trainer mehr hinzustellen und die große Motivationskeule auszupacken. Das bringt doch selbst der Scolari nicht fertig. Wie sollte das auch klingen? „Kommt, Jungs, das schaffen wir noch! Die können doch nixx!“ Nein, hier kann es nur noch um Schadensbegrenzung gehen. „Lasst uns nicht zweistellig untergehen“ muss wohl eher die Devise für die 2. Hälfte lauten.

Viele Zuschauer haben das Stadion bereits verlassen. Ich weiß auch nicht, ob ich mir das als Brasilianer noch reinziehen würde. Normalerweise würde ich jedem frustrierten Fan raten, sich ‘nen Caipirinha zu schnappen, runter zum Strand zu schlurfen und sich ordentlich einen auf die Lampe zu gießen. Aber Belo Horizonte liegt nicht mal am Meer! Den armen Brasilianern bleibt heut abend aber auch nichts erspart.

Scolari wechselt auch. Die Selecao versucht nochmal alles, um zu einem Tor zu kommen. Doch auch Neuer ist voll auf Sendung. Schürrle kommt für Klose. Den alten Herrn brauchen wir im Finale, also ist Schonung angesagt. Schürrle ist wie immer schnell im Spiel. Ein Superjoker. In England, Italien und Portugal reiben sie sich die tränenden Augen. Der Schürrle würde ihnen doch schon reichen! Und bei den Deutschen kommt so einer „nur“ von der Bank. Diese verdammten Deutschen! In dieser Nacht sind wir das Imperium mit Wolfgang Niersbach als Imperator und Darth Jogi als Oberbefehlshaber der Sturmtruppen. Irgendwie hassen und fürchten uns alle, aber irgendwie bewundern sie uns auch, weil wir es scheisse nochmal drauf haben! Leute wie Schürrle, Mertesacker oder Draxler von der Bank bringen zu können ist genauso cool wie einfach einen neuen Todesstern zu bauen, wenn der alte von den blöden Rebellen zerstört wurde.

Die DFB-Elf übersteht die Drangphase des Gegners nach der Pause schadlos und legt nach. Schürrle macht nach einer weltklasse Vorbereitung von Lahm das 6:0. Es ist ein Massaker. Die brasilianischen Fans haben sich inzwischen auf ihren Stürmer Fred eingeschossen. Der wird bei jedem Ballkontakt ausgebuht. Da machen sie es sich etwas zu einfach. Wenn überhaupt gehört Scolari ausgebuht, der schließlich an Fred festgehalten hat, obwohl der während des Turniers absolut nichts gebracht hat. Aber letztendlich ist das Halbfinale ein kollektives Versagen, das auch durch den Verlust von Thiago Silva und Neymar nicht zu rechtfertigen ist. Olli Kahn nennt es nach dem Spiel eine „kollektive Implosion“. Das klingt so blöd, dass es schon wieder gut ist. Jedenfalls ist die Implosion nach dem 0:6 noch nicht beendet. Schürrle macht auch noch das 7:0. Aus dem Massaker wird eine Demütigung. Die letzten, die so granatenmäßig untergegangen sind, waren die Perser in der Schlacht von Salamis. Da hat Xerxes I. auch alles falsch gemacht und ist den Griechen unter Themistokles geradewegs ins offene Messer gelaufen. Ein Debakel für Persien.

Brasilien hingegen kommt mit sieben Gegentreffern am Ende noch ganz gut weg. Kurz vor dem Abpfiff schickt Draxler Özil allein vor das Tor, der setzt den Ball aber knapp daneben. Im Gegenzug springt Oscar aus der Tonne und macht den Ehrentreffer für den WM-Gastgeber, über den Neuer sich sogar noch ärgert. 1:7 statt 0:8. Wenn du sie vorne nicht machst, kriegste sie eben hinten rein. Ich kann damit leben. Ich durfte eine Fußballsternstunde miterleben! In fünfzig – ach, was rede ich? – in hundert Jahren wird man noch über dieses Spiel sprechen, falls der steigende Meeresspiegel uns bis dahin nicht dazwischen pfuscht und die letzten verbliebenen Nationalmannschaften aus Peru und Chile einmal im Jahr irgendwo in den Anden gegeneinander spielen, um den Weltmeister zu ermitteln. Für die 32 Millionen Deutschen, die dieses Halbfinale gesehen haben, steht der Weltmeister 2014 jedenfalls jetzt schon fest. Nach so einem legendären Spiel kann man das Finale gar nicht verlieren. Unmöglich!

Am nächsten Morgen im Büro finde ich einen von meinem Chef ausgefüllten und bereits unterschriebenen Urlaubsantrag auf meinem Schreibtisch. Für den 14. Juli. „Da willst du doch bestimmt frei haben.“ Ja, will ich! Obwohl ich finde, dass da alle per Gesetz frei haben sollten. Komm, Angela, gib dir ‘nen Ruck und mach den Tag nach dem Finale zum Feiertag! Stünde Brasilien im Finale, wäre das dort mit Sicherheit so. Aber darüber brauchen die sich jetzt keine Gedanken mehr zu machen. Wir hingegen müssen uns Gedanken über unseren Finalgegner machen. Müssen wir? Argentinien oder Holland – wer ist dir lieber, werde ich gefragt. Ganz ehrlich? Is mir absolut wurscht! Nein, ich gehe noch einen Schritt weiter. Um 18 Uhr gegen Holland und um 21 Uhr gegen Argentinien! Lass sie nacheinander antreten und dann mit Silber um den Hals beide wieder nach Hause dackeln. Diese felsenfeste Überzeugung veranlasst mich dazu, das zweite Halbfinale nur halbherzig und mit einem Auge zu verfolgen. Noch vor der drohenden Verlängerung gehe ich ins Bett. Das ist mir einfach zu lahm. Egal, wer unser Gegner im Finale ist, wenn wir das abrufen können, was wir können, dann kann uns weder Holland, noch Argentinien den Titel streitig machen.

Am Morgen erfahre ich dann, dass am Sonntag argentinisch auf der Speisekarte steht. Gute Wahl.

Und dann beginnt das Warten…

 

... bis Morgen...